Matthias Lepschi

  

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Bergsommer 2016

Frisch zurück vom Kailash stand uns der Sinn verständlicherweise danach, die gute Kondition und Höhenanpassung auch hier in den Alpen für ein paar schöne Touren zu nützen. Allerdings machte uns zunächst das Wetter einen Strich durch die Rechnung. Über Wochen hinweg herrschte eine instabile und zu Gewittern neigende Wetterlage vor - schlechte Vorzeichen für längere Unternehmungen... Im Juni sprang daher auch nur eine Mountainbiketour auf die Hohe Kiste heraus. Erst Anfang Juli zeigte der Wettergott dann ein Erbarmen mit uns: Die Wetterpropheten meldeten ein durchgehend schönes Wochenende an - mit elf Sonnenstunden allein am Samstag! Wir ließen uns nicht zweimal bitten und packten die Rucksäcke fürs Griestal, ein Seitental des Ötztals: Das Ziel war die Winnebachseehütte.

Winnebachseehütte - Breiter Grieskogel und Hoher Seeblaskogel


Nach dem schweißtreibenden Aufstieg zur idyllisch gelegenen Hütte verbringen wir eine Nacht in einem Mehrbettzimmer direkt unter dem Hüttendach. Das Ende der Matratzen in der oberen Etage der Stockbetten läuft mit der Dachschräge zusammen. Da die Betten zudem recht kurz sind, habe ich keinen Platz, meine Zehen nach oben auszurichten - sie würden ans Dach anstoßen. Ich improvisiere und verbringe die Nacht hauptsächlich in Seitenlage. Nach dem Frühstück geht es am nächsten Morgen in Richtung des Breiten Grieskogels los. Es ist noch bewölkt und nieselt leicht - aber das muß ja bald aufhören; wir hatten ja die besagten elf Stunden Sonnenschein gemeldet bekommen!

Drei Stunden später stehen wir - nachdem wir uns vorsichtig durch das Steilstück des Gletschers bewegt haben - im ungemütlichen Nieselregen und bei unter 50 Meter Sichtweite am Gipfelaufbau des Grieskogels. Die Hoffnung auf Sonnenschein haben wir mittlerweile aufgegeben, den Wetterpropheten mit seinen elf Stunden wünschen wir dorthin, wo die Sonne garantiert nie scheint. Welch ein Reinfall mit dem Wetter!

Mangels eines schönen Gipfelpanoramas muß die Plakette am Gifpelkreuz für den Photoapparat herhalten. Natürlich entfällt auch die gemütliche Gipfelbrotzeit - wir steigen gleich wieder zügig ab. Auf dem Rückweg treffen wir eine Fünfer-Seilschaft, die genauso wenig sehen wie wir - und dementsprechend insbesondere nicht genau wissen, wo sich der Gipfel befindet. Der folgende Wortwechsel zwischen deren Seilersten und mir charakterisiert den heutigen Tag perfekt...
Er: "Gehts da wo ihr herkommt zum Gipfel, kann man da gut gehen?"
Ich: "Ja, da seid ihr in einer Viertelstunde auch oben."
Er: "Nach Sonne schauts aber da oben auch nicht aus, oder?"
Ich: "Nein, tut uns leid, den Lichtschalter haben wir nicht gefunden"
Er (grinst) "Ja mei, was solls; so ein blödes Sauwetter!"
Ich (grinse zurück) "Kannst nix machen, aussuchen kannst es dir eh nicht."
Sie steigen weiter auf, wir steigen weiter ab. Am Ende des Gletschers ziehen wir im Regen die Steigeisen aus. (Übrigens: Im Regen Steigeisen ausziehen ist genauso blöd wie im Regen Steigeisen anzuziehen...) Immerhin sind wir nun wieder unterhalb der Wolkendecke und sehen den Weg wieder relativ gut. Und eine halbe Stunde vor der Winnebachsee-Hütte spitzelt dann tatsächlich kurz die Sonne durch eine Wolkenlücke. Diesen Moment nützen wir sofort zur längst überfälligen Brotzeit.

Auf der Hütte überlegen wir kurz, gleich abzusteigen. Noch ein Tag bei solchen Wetterbedingungen wollen wir uns nicht mehr antun. Der Hüttenwirt versichert uns aber mit Überzeugung, daß heute nur eine kurzzeitige Störung durchgezogen sei, daß es aber morgen schon wieder schön werden würde. Wir vertrauen darauf, daß er sich mit dem Wetter hier besser auskennt als die Jungs von "unserer" Wettervorhersage...

...und werden tatsächlich nicht enttäuscht - der nächste Tag beginnt wolkenlos bei bestem Wetter! Ideale Bedingungen für unser zweites Ziel, den Hohen Seeblaskogel. Hoffnungsvoll starten wir von der Hütte in den noch zapfig frischen Morgen und kommen nach einer knappen Stunde an diesem Schilderbaum vorbei.
Wir finden nach langer Suche einen anderen Abstellplatz für unsere Räder (leider waren viele Stellplätze von Dauerparkern besetzt, deswegen hat es etwas gedauert) und beginnen den relativ steilen Aufstieg nach Norden.

Obwohl der Hang nach Süden ausgerichtet ist, ist am Morgen der Firn noch hartgefroren - Steigeisen und Pickel werden benötigt. Schon eine knappe Stunde später bewegen wir uns aber durch besten Stapfschnee auf den Gipfelaufbau zu; die Eisen sind unnötig. Auch vom Westfalenhaus aus kommen zwei Leute in Richtung Seeblaskogel gelaufen - die beiden haben ebenfalls auf das gute Wetter heute gesetzt, wie wir dann am Gipfel erfahren.

So macht ein Gipfel Spaß.

Endlich sehen wir auch den Berg, den wir gestern in Regen und Nebel bestiegen haben. Der Breite Grieskogel schaut ganz ansprechend aus, wenn er in der Sonne liegt. Die Besteigung verläuft - übrigens auch als Skitour - entlang dem nach rechts abfallenden Gletscher.

Auch der Blick vom Hohen Seeblaskogel nach Norden ist phänomenal. Der schlechte gestrige Tag ist bei solcher Aussicht schnell vergessen!
Der Abstieg zur Hütte verläuft dann völlig unproblematisch. Bevor wir dann komplett zum Parkplatz weiterlaufen, gönnen wir uns noch ein kühles Getränk auf der schönen Sonnenterasse - und sind froh, nicht doch schon gestern abgereist zu sein.

   Coburger Hütte - Tajakante


Das nächste Ziel liegt deutlich näher an München - wir wollen uns am Klettersteig der Tajakante versuchen, und tags darauf dann nach Übernachtung auf der Coburger Hütte noch auf die Ehrwalder Sonnenspitze gehen. Letztere hatten wir bereits vor ein paar Jahren einmal überschritten, aber der rassige Berg reizt uns noch einmal.

Allerdings liefert uns der Wetterbericht für das Wochenende nicht unbedingt gute Vorbedingungen. Der Samstag wird uns zwar noch als relativ stabil gemeldet, am Sonntag aber ist keine wirklich sichere Vorhersage zu bekommen. Außerdem hatte es ein paar Tage zuvor noch einmal tief herunter geschneit. Wir sind also durchaus auf etwas Glück angewiesen...

Der Klettersteig selbst, den wir am Samstag morgen angehen, ist schon nach den ersten paar Metern fordernd; man muß von Beginn an richtig zupacken. Meine Vermutung, ich könnte mich vielleicht als regelmäßiger Boulderer langweilen, entpuppt sich recht schnell als selbstgefällige Hybris. Gerade durch die relativ große Länge des Steigs ist Maximalkraft nur ein untergeordnetes Thema - die Kraftausdauer ist gefragt. Nach zwei Stunden im Steig merke ich deutlich, daß die Kraftreserven zur Neige gehen, und in den senkrechten Passagen ziehe ich manchmal schon auf der letzen Rille am Drahtseil.

Die Ausblicke aus der Tajakante auf den Seebensee sind die Mühen jedoch allemal wert.

Im oberen Drittel des Steigs treffen wir - wie schon befürchtet - tatsächlich noch auf Altschnee und teilweise vereiste Sicherungen. Darauf hätten wir gerne verzichtet... Wir gehen mit erhöhter Vorsicht weiter, und müssen uns das ein oder andere Mal die Griffe und Tritte freiwühlen. Immerhin ist das Ziel nun schon in Sichtweite, und wir freuen uns, bald oben anzukommen.

Am Gipfel stehen wir in eingetrübtem Wetter vor einem eisverkrusteten Gipfelkreuz. Unsere Akkus sind mittlerweile fast leer - viel länger hätte es nicht mehr gehen dürfen. Nach einer kurzen Pause mit einer kleinen Stärkung machen wir uns an den Abstieg.
Wer nun - wie wir - denkt, die Sache müßte jetzt gelaufen sein, hat sich getäuscht. Der relativ steile Abstieg ist ebenfalls noch von Restschnee überzogen und beinhaltet einige Passagen, in denen ein Sturz nicht ratsam wäre. Wir müssen uns noch einmal mit voller Konzentration bewegen, und sind darüber hinaus auch sehr froh, Stöcke mit nach oben geschleppt zu haben. Die sind nun bei der tückischen dünnen Schneeauflage Gold wert! Nach einer Stunde sind wir dann aus dem Gröbsten heraus, und auch das Wetter wird wieder etwas besser. Daher können wir kurz vor der Hütte noch eine etwas längere Brotzeit am Wegesrand machen und über die alte Weisheit nachdenken, daß eine Bergtour nicht mit dem Gipfel endet, sondern erst wenn man wieder sicher unten angekommen ist.

Mit dieser Erkenntnis schmeckt das Radler auf der Hütte gleich noch besser - allerdings stören beim Trinken die diversen Blasen an den Händen, die mir die Tajakante trotz der Kletterhandschuhe beschert hat. Naja, was einen nicht umbringt...

Im Abendlicht liegt des Tages Werk noch einmal vor uns - die Tajakante ist der markante Grat vom linken Bildrand hoch über die kleine Scharte zum Gipfel des Tajakopfs.

Am nächsten Tag brechen wir von der Coburger Hütte tatsächlich bei sehr trüben Bedingungen in Richtung der Ehrwalder Sonnenspitze auf. Offensichtlich haben wir heute nicht die besten Voraussetzungen auf der Wetterseite - wir wollen es aber trotzdem probieren. Allerdings fängt es gerade in den unteren anspruchsvollen Passagen dann noch zu Nieseln an - ich verliere in kurzer Zeit das Vertrauen in meine Schuhe und eiere ohne große Zuversicht weiter. Als wir dann auch noch an einer Rinne falsch abbiegen und in Gelände gelangen, das definitiv keine Fehler mehr verzeiht, kippt die Stimmung komplett. Mit weißem Gesicht muß ich mich erstmal setzen und Kopf und Magen wieder sammeln. Das läuft ja überhaupt nicht nach Plan! Im Schneckentempo bewege ich mich anschließend wieder zurück zum richtigen Weg, und als ich endlich wieder auf sicherem Grund bin, fühle ich mich immens erleichtert. Ich mache drei Kreuzzeichen und setze mich nochmal für eine Weile hin - die Knie haben offenkundig zuviel Wackelpudding gefrühstückt. Mittlerweile haben wir auch den richtigen Weg wieder entdeckt - wieso haben wir den eigentlich nicht sofort genommen? Wir waren doch schonmal hier! Damals waren doch keine große Probleme auf dem Weg zum Gipfel! Ich lerne sehr direkt und eindringlich wieder eine Lektion: Wenn du einmal oben warst, ist das keine Garantie, das es beim nächsten Mal wieder klappt!
Zwischenzeitlich nieselt es etwas stärker, und ich habe kein Verlangen, heute noch einmal in eine so brenzlige Situation zu kommen - wir drehen also um und gehen vorsichtig wieder Richtung Hütte zurück. Den Wanderern, denen wir auf ihrem Weg nach oben begegnen, erzähle ich relativ ehrlich, daß ich mir der Tour heute einfach nicht gewachsen fühle. Später werden wir von weiter unten sehen, daß auch die meisten anderen Bergsteiger in den schwierigen Passagen umdrehen und die Tour abbrechen. Mittlerweile haben wir die Regenhüllen über die Rucksäcke gezogen und wandern in eher gedrückter Stimmung talwärts. Immerhin wissen wir, das es rein wettertechnisch so oder so die richtige Entscheidung war, abzubrechen - der Gipfel der Sonnenspitze ist nicht zu sehen - aber letzten Endes bleibt das schale Gefühl zurück, an einem Berg gescheitert zu sein, den mal schon einmal ohne Probleme bestiegen hat. Relativ geknickt laufe ich den Weg zur Ehrwalder Alm weiter. Von dort aus bringt uns die Gondel knieschonend über die grünen Skipisten zum Parkplatz zurück, und es geht nach einem durchwachsenen, aber lehrreichen Wochenende wieder zurück nach München.

   Neue Prager Hütte - Großvenediger


Die nächste Unternehmung in den Bergen sollte uns - gottseidank - vor keine größeren Probleme stellen: Im Gegenteil wird sich die Besteigung des Großvenedigers als ausgesprochene Genusstour erweisen.

Wir starten die Tour Freitag nachmittags am Matreier Tauernhaus - allerdings nicht zu Fuß, sondern per Kleinbus, der uns über die Fahrstraße bis nach Innergschlöß bringt. Von dort geht es auf Schusters Rappen weiter in das Tal des Gschlößbachs hinein, und dann steil und schweißtreibend Richtung Neue Prager Hütte hinauf.

Bald schon öffnet sich der Blick über die sattgrünen Wiesen auf die Gletscher der Venedigergruppe - hier der Schlatenkees. Im Hintergrund zeigen sich die Schwarze Wand und der Hohe Zaun.

Auch der Schlatenkees ist im Rückgang begriffen - der Klimawandel läßt ihm keine Chance. In weniger als zwanzig Jahren wird die Eiszunge auf dem Photo nicht mehr existieren.

Angekommen!

Tags darauf geht es bei bestem Wetter früh los zur Besteigung. Wir wollen die kühlen Morgenstunden und den festen Schnee nutzen, bevor er sich in sumpfigen Firn verwandelt. Leider gehe ich direkt von der Hütte einen falschen Weg los - nämlich den alten Zustieg über den Niederen Zaun. Dieser Weg ist aber durch den starken Gletscherrückgang ein kippeliges Chaos aus Blöcken aller Größe und nicht mehr empfehlenswert. Die Markierungen des alten Pfades sind in Hüttennähe zwar weitgehend beseitigt worden - aber ich habe die sichtbaren Reste der rot-weißen Punkte für bare Münze genommen... dumm gelaufen. Nach zehn Minuten lästigem Gestolpere sehen wir andere Seilschaften deutlich weiter unten Richtung Großvenediger ziehen - wir ändern unsere Richtung und sind bald auch auf dem richtigen Weg.
Am Schlatenkees angekommen werden Steigeisen und Seil angelegt. Gerade die ersten fünfzig Höhenmeter geht es relativ steil über das griffige Eis; danach legt die Route zurück. Allerdings zeigen sich dann auch sehr bald die ersten großen Spalten, die jedoch noch gut überwunden werden können.

Die Route führt flach über den weitläufigen Gletscher, und bald kommt der Gipfel der "Weltalten Majestät" in Sicht. Der Tag bietet perfekte Bedingungen, und daher wundert es uns nicht, daß eine Vielzahl von Seilschaften aus allen Richtungen Richtung Gipfel streben.

Nach dem unschwierigen etwas steileren Schlußanstieg gehen wir über den vielleicht 100 Meter langen Firngrat das letzte Stück zum Gipfel. Das Bild zeigt, daß uns dort keine Bergeinsamkeit erwarten wird...

Geschafft!

Nach dem Abstieg vom Großvenediger und eine gemütlichen Brotzeit in Firn und Sonne beschließen wir relativ spontan, auch noch den Berg gegenüber mitzunehmen (siehe Photo). Erst am Abend werde ich erfahren, daß es das Rainerhorn ist, welchem wir einen Besuch abstatten wollen. Wir überqueren vorsichtig den Schlatenkees, unter dem es manchmal bedenklich gluckert, in Richtung Rainertörl. Der Aufstieg zum Rainerhorn verläuft ohne Probleme entlang einer gut sichtbaren Spur - also werden wir dort wohl auch nicht allein sein können! Tatsächlich treffen wir am Gipfel auf zwei Schwaben, die die Venedigerkrone gehen wollen. Sie brechen bald Richtung Schwarze Wand auf, und so bleiben uns doch ein paar Minuten allein auf dem Rainerhorn neben dem aus Holzstücken improvisierten Gipfelkreuz.

Mittlerweile haben sich einige Quellwolken gebildet, die uns an den Abstieg zur Hütte erinnern. Der Schnee ist jetzt erwartungsgemäß sulzig und tief. Gottseidank müssen wir jetzt nicht mehr hinauf stapfen... An der Hütte genießen hochzufrieden wir Gipfelerfolg und Abend.

Weil der Wetterbericht für den Sonntag eine Kaltluftfront mit Regen vorhersagt, steigen wir am nächsten Morgen schon früh wieder ins Tal ab. Wir genießen die entspannte Wanderung ohne Gipfelziel in der schönen Morgenstimmung; noch hält das Wetter. Von Innergschlöß bringt uns dann der Kleinbus wieder zurück zum Matreier Tauernhaus, wo wir uns ein zweites Frühstück gönnen: Kaffee und Kuchen. Danach geht es gut gestärkt mit dem Auto zurück nach München. Bereits in Kitzbühl sehen wir die ersten Regentropfen auf der Windschutzscheibe - da ist sie also, die Kaltfront. Im Auto stört sie uns aber natürlich nicht mehr; wir rollen unbeeindruckt und gemütlich nach Hause.

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